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Porträt Frau Gotzmann

Meine Kindheit habe ich im Landkreis Lüchow-Dannenberg – im Wendland verbracht. Fast um den ganzen Landkreis verlief die Grenze zur DDR. Das hat mich natürlich geprägt. Auch wir Bewohner:innen im Westen waren an drei Seiten eingezäunt.

Ich bin das Kind von Eltern, die in Rußland und Polen geboren wurden und während des 2. Weltkrieges und danach geflüchtet sind. Somit bin ich in meiner Kindheit vielen Menschen begegnet, die ebenfalls Geflüchtete waren. Für mich ist es heute ein Rätsel, dass und wie sich diese Menschen, die einmal in Dörfern tausende Kilometer entfernt zusammenlebten im Wendland wiedergefunden haben, ohne Handys, E-Mails oder GPS.

Die Schule schloß ich mit der mittleren Reife ab und startete eine Ausbildung zur Erzieherin. Ich brach die Ausbildung ab und ließ mich in einer Kieferorthopädischen Praxis zur Technikerin ausbilden. Mein jugendlicher Drang etwas Neues zu starten brachte mich gemeinsam mit meiner Freundin in die Heimvolkshochschule Hustedt, dort bereiteten wir uns auf die Immaturenprüfung, eine fachbezogene Prüfung, um an einer Universität ohne Abitur studieren zu können, vor. Mit bestandener Prüfung startete ich mit fast 30 Jahren mein Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Hannover.

Die Zeit in Hustedt und des Studiums waren wunderbar. Ich durfte wieder Lernen, das war anstrengend und hat trotzdem sehr viel Spaß gemacht, weil ich selbstbestimmt die Themen und die Lernzeiten wählen konnte. Nebenbei lernte ich Hannover kennen, engagierte mich in politischen Gruppen und Initiativen, arbeitete als Studentin in verschiedenen Organisationen und setzte meinen Studienschwerpunkt auf die Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft. Ich wurde Feministin!

Vor Beendigung meines Studiums bekam ich meinen Sohn und brauchte sehr schnell einen Job. Dafür schrieb ich meinen ersten Projektantrag im wissenschaftlichen Bereich, um eine Förderung für eine Studie zur Belastung von kommunalen Frauenbeauftragten zu erhalten. Der Antrag wurde genehmigt und ich konnte forschen, mein Kind ernähren und mich auf offene Stellen bewerben.

 

Nach Abschluss des Projektes wurde ich von der damaligen Vizepräsidentin der Universität Hannover gefragt, ob ich im neu eingerichteten Frauenbüro der Universität aushelfen könnte. Die erste Frauenbeauftragte war von ihrem Amt zurückgetreten. Ich sagte „ja“, und startete meine fast 30jährige Karriere für Gleichstellung und Chancenvielfalt an der heutigen Leibniz Universität Hannover. Angefangen als wissenschaftliche Hilfskraft stieg ich auf zur Leiterin des Frauenbüros, wurde Frauen- und später Gleichstellungsbeauftragte, war Mitglied in allen zentralen und dezentralen Gremien, führte Projekte und Programme durch und ich schrieb Anträge zur Umsetzung und Finanzierung von Ideen und für Preise und Auszeichnungen zur Herstellung der Chancengleichheit für Frauen und Männer.

Lebenslanges Lernen war für mich eine Herausforderung geworden, so absolvierte zahlreiche Weiterbildungen, insbesondere zur She-Coach und Beraterin, als Führungskraft und Projektleitung und vieles mehr.

Als Gleichstellungsbeauftragte organisierte ich selbst Weiterbildungen für Frauen und Männer.

Mein Ziel war und ist es, Brücken zu bauen zwischen Menschen, Themen und Karriereschritten.

Studierende, Mitarbeitende, Forschende sollten ihre Talente in gemeinsamen Projekten für die Wissenschaft einbringen, sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Art und Herkunft wertschätzen und den Erfolg gemeinsam erleben können. Gleichstellung und Feminismus sind wichtige Bausteine für eine gleichberechtigte Welt.

Seit einem Jahr bin ich Rentnerin und gestalte meinen dritten Lebensabschnitt mit neuen Projekten auf der Basis von meinen Erfahrungen.