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Wir brauchen Feminismus, um unsere beruflichen Träume zu realisieren!

In der Onlinereihe von Anika Werner und mir: ´Wozu brauchen wir Feminismus` hat sich die Gruppe im November 2022 mit beruflichen Träumen und strukturellen Blockaden im Arbeitsleben auseinandergesetzt.
Die Inhalte und Diskussion möchte ich hier kurz zusammenfassen und für die Workshopteilnehmerinnen und Interessierte an Gleichstellung für Frauen und Gendergerechtigkeit weitergeben. Nach einer kurzen Einleitung beschreibe ich fünf strukturelle Blockaden und ihre Auswirkungen. Es folgt ein kurzes Kapitel über persönliche Blockaden und wann und wo sie entstanden sein können. Zum Schluss gibt es noch ein paar Tipps, für alle, die an ihren beruflichen Träumen festhalten wollen und Blockaden oder auch Glaubenssätze erkennen, anerkennen und verändern möchten.

Auch wenn wir hier in Deutschland, ja in Europa, gute Bildungs- und Ausbildungschancen haben, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es leider keine Selbstverständlichkeit ist, dass Mädchen und Frauen ihr Potenzial ausschöpfen können – sondern dass sie vielfach unter stereotypen Geschlechterbildern leiden und in ihren Möglichkeiten dadurch eingeschränkt sind.
Mädchen, junge und auch alte Frauen haben Träume, was sie im Erwerbsleben machen möchten, welchen Beruf sie ausüben möchten, wo sie arbeiten möchten, wofür sie Anerkennung wünschen, welchen Auftrag sie haben, was ihre Passion ist.
Eine Berufsqualifizierung, egal ob handwerkliche Ausbildung, Studium, Verwaltungslaufbahn, Klima oder Medizinische Berufe, bedeutet einen wichtigen Schritt zur eignen Existenzsicherung und zur Bildungsgerechtigkeit. Berufliche Träume sind Lebensinhalt – berufliche Blockaden sind Diskriminierungen, Verletzungen und gefährden die Existenz.

Strukturelle Blockaden im Berufsleben

Was sind strukturelle Blockaden? Wo treffen wir sie an? Was können wir dagegen tun? Strukturelle Blockaden im Berufsleben sind tradierte, etablierte, sichtbare oder unsichtbare Stolpersteine, Kulturen in einem System, in das ich mich begebe. Hochschule, Verwaltung, Unternehmen etc. Wir alle kennen Begriffe wie → Unternehmenskultur, Führungskultur, dahinter verbergen sich ganz eigene Wertesysteme.

1. Care-Arbeit

Frauen übernehmen zu 90% die Care-Arbeit. Sie leisten zu ihrem Beruf täglich 4,5 Stunden dafür.

Für mich beginnen die strukturellen Blockaden im Berufsleben für Frauen bereits im Privaten.Irgendwie gilt nach wir vor die traditionelle Arbeitsteilung in den Familien zwischen den Geschlechtern. Frauen managen Freizeit, Kinder, Freunde, Abendessen etc., sie erfüllen die Erwartungen an sie als Ehefrau und Partnerin. Diese Faktoren werden oftmals gar nicht als strukturelle Blockade erkannt und benannt. Familiäre Care-Arbeit hindert Frauen oftmals Vollzeit zu arbeiten, Weiterbildungen zu besuchen und Karriere machen zu woll en.

2. Gender Pay Gap und Unterrepräsentanz

Frauen verdienen weniger und sind in entscheidenden Positionen unterrepräsentiert. Im Beruflichen werden die strukturellen Blockaden sichtbarer und deutlicher. Beispielsweise beim Gender Pay Gap 2021: Frauen verdienten pro Stunde weiterhin 18% weniger als Männer. Trotz herausragender Ausbildungen und beruflicher Erfolge verdienen Frauen zu wenig! Öffentlich wird dieses Thema aktuell durch den Kampf von Profisportlerinnen, die im Handball und im Fußball gleiche Prämien für ihre Leistungen fordern, wie sie männliche Profisportler bekommen. Glücklicherweise gibt es auch Veränderungen, es zeigt sich, dass in Organisationen, in denen die Gehälter bekannt sind, der Gender Pay Gap um 45 Prozent niedriger ist als in Organisationen ohne Entgelttransparenz. Auch die aktuelle Erhöhung des Mindestlohns ist für Frauen ein wichtiger Beitrag zur Existenzsicherung.

Die Unterrepräsentanz von Frauen im oberen Management ist in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen zu verzeichnen. Hier ein Beispiel für deutsche Unternehmen. An deutschen Hochschulen liegt der Anteil von Frauen bei den Professorinnen und in den Hochschulleitungen bei 27% und im deutschen Bundestag bei 31%.

3. Stereotype Rollenverständnisse und Vorurteile blockieren Karrierewege

Jede fünfte Mutter hat im Januar 2022 ihre Arbeitszeit reduziert, um Kinder zu betreuen. Bei den Vätern ist es nur jeder zwanzigste. Hier wird der Zusammenhang zur ersten Blockade „Care-Arbeit“ wieder deutlich. Frauen übernehmen in der Regel die Erziehung, Pflege und Betreuung der Kinder. Und dies obwohl 42 Prozent der Mütter in Deutschland ihre Erwerbstätigkeit gerne ausweiten oder eine Berufstätigkeit (wieder) aufnehmen möchten. Stereotype Rollenverständnisse und Vorurteile darüber, was Frauen können, was sie tun sollten, was sie nicht können, sind (fast) unsichtbare Blockaden, zur Erreichung des beruflichen Traums.

4. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sexuelle Belästigung ist erniedrigend und damit die schlimmste Form der beruflichen Blockaden. Wir wissen nicht, wie viele Frauen wegen sexueller Diskriminierung in der Ausbildung, im Studium, im Beruf ihre beruflichen Träume aufgegeben haben. Wir wissen von sexuellen Belästigungen, sexueller Diskriminierung und sexuellem Missbrauch in allen Berufsbereichen und auch im Freizeit- und Profisport. Jede elfte Person wurde in den vergangenen drei Jahren am Arbeitsplatz sexuell belästigt. Dieses Ergebnis präsentierte 2019 eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Als Gleichstellungsbeauftragte hatte ich mit zahlreichen Diskriminierungsfällen mit sexueller Absicht zu tun. Mehrheitlich waren auch hier Frauen betroffen. In der Regel spielte männliche Machtausübung dabei Rolle. Dies wird auch im Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervorgehoben. „Auffällig war, dass sexuelle Belästigungen gegen Frauen häufiger im Kontext ungleicher Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen standen und häufiger als bei Männern von Vorgesetzten ausgingen (23 Prozent vs. 7 Prozent), was mit besonderen Belastungen und schwieriger zu lösenden Situationen verbunden ist.“ Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

5. Eine klassische strukturelle Blockade ist die gläserne Decke

Der Begriff der gläsernen Decke wird in der feministischen Analyse dafür genutzt, deutlich zu machen, dass der Karriereverlauf von Frauen auf einer bestimmten Stufe stoppt, obwohl es nach oben noch weitere Karrierestufen gibt und sie dafür auch qualifiziert sind. Es bedeutet Ausgrenzung von Frauen im oberen Management. Es sind in der Regel homosoziale Männergemeinschaften, die ausschließlich Männer suchen, die zu ihnen passen. Das folgende Schaubild zeigt: Wie deutsche Börsenunternehmen ihre Vorstände rekrutieren

Die wichtigsten Auswahlkriterien sind: Persönlichkeit, Passgenauigkeit und Potenzial. Spannend und auch ein bisschen lustig bei dieser Auswertung ist, dass es in den Vorständen der an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen mehr Personen gibt, die Thomas oder Michael heißen (49), als es insgesamt Frauen gibt (46). Tatsächlich heißen 5 Prozent der Vorstandsvorsitzenden in Deutschland Thomas.

Eigenschaften bzw. Systeme der gläsernen Decken sind:

  • Hartnäckigkeit der männlich geprägten Hierarchiestrukturen – es wird Gleichklang gefordert: in der Ausbildung, den Seilschaften und den Werten.
  • Hierarchiebestimmtes männliches Kommunikationsverhalten – wer darf wann reden, wer darf wen unterbrechen, etc. Hierzu hat Marion Knaths mehrere Bücher geschrieben,
  • Männlich geprägte Seilschaften – „ich fördere deinen Sohn und du förderst meinen Sohn“ führen zu dem ewigen Thomas-Kreislauf. Allbright Bericht 2017

Unterschätzen Frauen männlich geprägte Unternehmenskulturen?

Die hier vorgestellten beruflichen Blockaden sind bei genauer Betrachtung in der Arbeitswelt vorhandene strukturelle Diskriminierungen gegen Frauen. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Deshalb wurden im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft schon vor 30 Jahren Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt. Und natürlich ist viel passiert, von den ersten Frauenförderplänen bis heute zu den Diversity Grundsätzen wird aus verschiedenen Richtungen der wirtschaftliche Nutzen von Vielfalt in Unternehmen, im Management, in Aufsichtsräten, an Hochschulen propagiert.

Im Internet und auf Buchmessen finden sich unendlich viele Angebote, was Frauen tun können, um in der von Männern geprägten Berufswelt Karriere zu machen. Viele dieser Angebote sind wirklich gut, ich habe sie selbst an den wissenschaftlichen Nachwuchs weitergeben, z.B. durch Mentoringprogramme, Einzel- und Gruppencoachings, Vorträge von Marion Knaths zum Thema „Spiele mit der Macht“, Workshops zur Vereinbarkeit von Beruf und Familien und vieles mehr.

Dennoch gibt es immer noch die aufgezählten Blockaden/Diskriminierungen besonders gegen Frauen. Aus meiner Sicht unterschätzen Frauen männlich geprägte Kulturen in Unternehmen, Wirtschaft und öffentlichen Dienst. Es ist ja auch schwieriger geworden Blockaden oder Diskriminierungen auf den ersten Blick zu erkennen.

Persönliche Blockaden

Allein aus den genannten strukturellen Blockaden können sich persönliche Blockaden entwickeln, die im Berufsleben hinderlich sind. Oder andersrum → Persönliche Blockaden im Beruf hängen in der Regel mit den strukturellen Blockaden zusammen.

Persönliche Blockaden können auf geschlechtsspezifische Sozialisation bzw. Geschlechterkonstruktion zurückgeführt werden. Geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen – unabhängig von biologischen Unterschieden, lediglich auf kulturell erworbene Verhaltensweisen prägen uns von frühester Kindheit. Sie zu verändern ist sehr mühsam. Ich würde sagen, es gelingt Frauen besser als Männern. Ebenso wirken Massenmedien, Schule und die Wahrnehmung von der beruflichen Arbeitsteilung der Eltern als entscheidende Einflussfaktoren auf die Persönlichkeitsentwicklung von Jungen und Mädchen ein. Für Mädchen kann es dadurch zu geringem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl kommen, weil sie z. B. für andere Verhaltensweisen, Leistungen gelobt werden als Jungen. Beispielsweise werden Mädchen häufiger gelobt, wenn sie Schwächen (lieber nicht auf den Baum klettern, weil man runterfallen könnte) zeigen oder wenn sie beim Spielen nach Hilfe fragen. Dagegen erhalten Jungen für ihren Mut und ihr Risikoverhalten Lob und Bestätigung, „Du bist aber klug“, Du kannst ganz toll klettern“, etc.. Fehlende Anerkennung und Wertschätzung können als Folge zu Versagungsängste und geringem Selbstwertgefühl führen, und das trotz guter Noten den beruflichem Erfolg versagen.

Persönliche Blockaden manifestieren sich in negativen und selbstkritischen Glaubenssätzen, in unserem Kopfradio. Sie spielen sich immer wieder ab, wenn wir den Sender nicht verändern, hören wir:

  • wie selbstkritisch oder abwertend wir unsere Eigenschaften und Fähigkeiten bewerten
  • wie wir unser Aussehen beschreiben
  • wie wir Anerkennung und Wertschätzung annehmen oder auch nicht
  • wie wir unser Gewicht einschätzen
  • wie wir unsere letzte Präsentation bewerten

Können wir unsere Blockaden überwinden und Diskriminierungen verhindern?

Jede von uns hat Glaubenssätze, bei der Erfüllung beruflicher Träume unterstützen und stärken.

Ich bin wichtig, ich bin gut, ich bin richtig. Ich habe schon schwierigeres geschafft. Ich bin kompetent. Ich mag mich so wie ich bin. Learning by Doing. Ich kann das. Ich habe doch schon so viel geschafft und bin so weit gekommen. Ich darf um Hilfe bitten. Probieren geht über Studieren. Das wollen wir doch mal sehen! Ich kann mit meiner Sicht die Welt bereichern. Ich bin anpassungsfähig und lösungsorientiert. Ich darf mir ein Netzwerk schaffen. Ich habe schon viel schwerere Sachen geschafft. Ich kann andere mit meinem Erfahrungsschatz und meinem Wissen unterstützen. Das haben schon ganz andere geschafft, also kann ich das auch. Ich kann mein Netzwerk nutzen. Ich habe etwas zu bieten. Was hätte dieses oder jenes Vorbild an meiner Stelle getan oder entschieden? Weiter gehts! Wie viel habe ich in den letzten 12 Monaten geschafft, mich entwickelt? Das schaffe ich auch in den nächsten 12! Ich will – ich kann! Ich kann – ich werde! Ende der Geschichte! Ich erweitere mein Wissen in meinem Arbeitsalltag täglich. Die brauchen mich! Chacka! (Eine Auswahl der Glaubenssätze, die die Workshopteilnehmerinnen genannt haben)

 

Jede von uns hat eine Schatztruhe,

  • eine Schatztruhe, in der fast alles vorhanden ist, was wir brauchen. Manchmal müssen wir etwas buddeln, bis wir gefunden haben, was wir gerade brauchen.
  • beim Buddeln hilft es, wenn wir genau hinschauen, denn dann können wir auch sehen und wahrnehmen, was wir schon geschafft haben, welche unserer wunderbaren Eigenschaften uns dabei geholfen haben, von wo wir Unterstützung erfahren haben und vieles mehr.
  • denn wir sind ganz viele, mal Tochter, mal Kollegin, mal Mutter, mal Vorgesetzte, mal Lehrerin, mal Partnerin etc. und deshalb können wir auch sehr, sehr viel in den verschiedensten Bereichen und haben unendlich viele Ressourcen …

Jede kann lernen im Kopfradio einen anderen Sender zu finden, die eigene und die externe Kommunikation zu verändern.

  • Ich bin richtig! Ich bin wichtig! Ich habe Entwicklungspotenzial!
  • Fragetechniken üben und nutzen: „soll ich-Fragen“ vermeiden, stattdessen wie, was, wann, wo, wer, fragen. Damit erhältst Du die Informationen, die du brauchst, die wichtig sind!
  • Unternehmensspezifische Kommunikationsstrukturen lernen, hilft Klarheit schaffen.
  • Positives Feedback geben, erhöht die Kommunikatonsbereitschaft der anderen.
  • Gendern und Achtsamkeit anwenden, zeigt die eigene Haltung und fördert Gemeinsamkeiten.

Jede kann sich Hilfe holen.

Spezielle Frauennetzwerke, Beratungsstellen, Gleichstellungs- und Diversitybeauftragte stehen in der Regel in Unternehmen, Hochschulen, Verwaltung, Gemeinde zur Verfügung. Freundinnen, Mentorinnen, Geschwister helfen gerne – gleichgültig ob für Trost, bei der Suche nach neuen Handlungskonzepten, beim Üben von Schlagfertigkeit oder um eine Beschwerde bzw. Anzeige wegen Diskriminierung, sexueller Belästigung oder ungleicher Bezahlung einzureichen.

#Gemeinsam füreinander da sein!

Literaturhinweise und Websites

Knaths, Marion. FrauenMACHT!: Die besten Wege, zu überzeugen und erfolgreich zu sein. Berlin 2021.

Meuselbach, Sigrid. Weck die Chefin in dir – 40 Strategien für mehr Selbstbehauptung im Job. Ariston 2015

Allbright Bericht. Ein ewiger Thomas-Kreislauf? https://www.allbright-stiftung.de/allbright-berichte . 2017

Dr. Monika Schröttle, Ksenia Meshkova und Clara Lehmann, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention. 2019

Faulstich-Wieland, Hannelore. Scholand, Barbara unter Mitarbeit von Tatjana Beer, Anna Lucht und Birgid Wallraf. Gendersensible Berufsorientierung – Informationen und Anregungen. Working Paper – Nummer 034, Mai 2017 Hans Böckler Stiftung

Gender Pay Gap – Statistisches Bundesamt

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_088_621.html 16.11.2022

Business-Trainerin SIMONE VON STOSCH erklärt im Video, wie man erfolgreich etwas verändert.

https://sheboss.dev-m3.de/veroeffentlichungen-frauen-erfolgreich-beruf-karriere 16.11.2022